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Fachbereich Design

Zehn Beispiele für richtig gute Poster

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Blick in die Pinakothek der Moderne in München: Rechts an der Wand hängen die 108 Poster der Studierenden.

Im Seminar „100 Poster Battle“ arbeiten Studierende der Fachhochschule Dortmund wie in einer Nachrichtenredaktion – mit dem Unterschied, dass hier statt Nachrichten bissige, bildgewaltige Poster entstehen. Zuletzt waren 108 davon in der renommierten Pinakothek der Moderne in München zu sehen. Zwei Studierende stellen zehn der Poster vor und erklären, warum diese ausstellungswürdig sind.

Ein gutes Poster, erläutert Prof. Lars Harmsen, erfülle mehrere Kriterien: Das Thema ist erkennbar. Es ist originell. Und es löst einen inneren Diskurs aus.

Wenn man es betrachtet, soll die Schere im Kopf aufgehen.

Prof. Lars Harmsen über ein gutes Poster

Prof. Lars Harmsen hat sich das Format der „100 Poster Battle“ ausgedacht und schon mehrfach mit Studierenden am Fachbereich Design der FH Dortmund umgesetzt. Die 108 Poster in der Pinakothek stammen aus diesen Sessions.

Prof. Lars Harmsen

Poster zu aktuellen Nachrichten

In zwei davon kamen 50 Studierende der FH Dortmund mit zwölf Studierenden von der German University in Cairo über Webex zusammen. Zuvor hatten die Studierenden jeweils zehn Motive ausgewählt: Fotos, Grafiken, Hintergrundbilder, Symbole, Schriftzüge, Logos.

Diese Datenbank diente allen als Motivpool für die Postergestaltung. Die Themen lauteten „Love and Peace“ und „Tourism“. „Die Studierenden haben diskutiert, was diese Themen in Deutschland und in Ägypten bedeuten“, sagt Prof. Harmsen. „Ein spannender Austausch.“

Die anderen Sessions waren Teil des Seminars. Im wöchentlichen Rhythmus gestalteten die Studierenden die Plakate zu aktuellen Nachrichten: Nachrichtenlage checken, Thema entdecken, eigene Herangehensweise finden und umsetzen, immer im Lauf eines Tages, wie in einer Nachrichtenredaktion.

Lars Harmsen stellte dazu jede Woche eine technische Zusatz-Aufgabe, zum Beispiel sollten die Studierenden ausschließlich Typografie verwenden oder nur Software, die eigentlich nicht zum Gestalten gedacht ist, wie etwa Excel oder Gaming-Programme.

Poster aus den bisherigen „100 Poster Battles“ schmückten schon mehrfach die Rückwand des Fachbereich-Design-Stands auf der Frankfurter Buchmesse. „Außerdem sind wir im Gespräch mit verschiedenen Designfestivals“, sagt Lars Harmsen. „Ich würde sehr gern beim Europäischen Designfestival in Chaumont ausstellen, das wäre wunderbar.“

Ein Herzenswunsch sei auch eine Kooperation mit der Ausstellungsetage uzwei im Dortmunder U-Turm. Vor allem, wenn die Studierenden dort Poster-Workshops für Kinder anbieten würden. Bei den Bewerbungen kann die jüngste Schau sicher helfen.

Dass wir in München ausstellen konnten, ist natürlich sensationell.

Prof. Lars Harmsen

Insgesamt beläuft sich der aktuelle Poster-Pool der Seminarreihe auf rund tausend Entwürfe. An der Auswahl der 108 Poster für die Pinakothek waren die Studierenden Jule Orlik und Tim Stange beteiligt.

Hier stellen sie zehn der Poster vor und erläutern ihren eigenen Blick auf die Gestaltungen. Die Titel der Poster stammen übrigens nicht von den Gestalter*innen, sondern sind von den Kurator*innen für die Ausstellung formuliert worden.

1. „Moneymaker“ von Sophia Klimaszewski

Thematische Vorgabe: Gentrification, also die Verdrängung von ärmeren Menschen aus einzelnen Stadtvierteln durch wohlhabende Menschen

Jule Orlik und Tim Stange:
Das Poster ist während einer Exkursion in Lissabon entstanden, in einer offenen Werkstattsituation mit vielen Studierenden, die gleichzeitig gearbeitet und einander ausgetauscht und inspiriert haben. In Lissabon ist der Clash von sozialen Kontrasten besonders präsent, viele Stadtteile sind im Wandel, bewohnte und leerstehende Häuser dicht an dicht, Gentrification ist dort überall spürbar.

Sophia hat das Poster nicht digital gestaltet, sondern komplett analog mit Spraydosen gesprüht. Damit greift sie die klassische urbane Protestform Graffiti auf und malt mit wenigen Linien satirisch die gierige und rücksichtslose Fratze der Immobilienspekulant*innen und Miethaie an die Wand.

2. „Vacation“ von Tim von Bischopinck

Tim von Bischopinck

Thematische Vorgabe: Tourism

Jule Orlik und Tim Stange:
Der Sprungturm ist ein ebenso beliebtes wie banales Element einer typischen Freizeit- und Urlaubsbeschäftigung und hier außerdem noch hoffnungslos überfrequentiert – und damit ein Hinweis auf einen seelenlosen Massentourismus.

Auf den zweiten Blick entpuppt sich das vermeintliche Wasser als müllbedeckte Fläche, die als Anspielung auf die schädlichen Auswirkungen des Massentourismus gelesen werden kann.

Die grobe Rasterung geht von Punkten im oberen Teil zu Wellenlinien im unteren Teil über, die Farben sind auf Violett und Hellgrau reduziert. Beides weist auf Pauschalurlaub als eintöniges, sich ewig wiederholendes Erlebnis an.

3. „Love“ von David Reske

Thematische Vorgabe: Love and Peace

Jule Orlik und Tim Stange:
„Love” ist während einer Remix-Session mit Studierenden aus Kairo entstanden. Dafür haben wir einen Motiv-Pool angelegt, für den jede*r von uns Studierenden ungefähr zehn Bilder oder Bildteile ausgewählt hat. In den Remix-Sessions haben wir unsere Poster ausschließlich mit Motiven aus diesem Pool gestaltet.

Mit seinem stark reduzierten Entwurf feiert David die Schönheit der arabischen Schriftzeichen und propagiert mit ihnen den Gedanken der Liebe. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Poster nicht immer eine komplexe Botschaft transportieren müssen. Manchmal reicht ein einfacher, klarer und in diesem Fall schöner Gedanke.

4. „Free Baby Pill“ von Muriel Labadi

Muriel Labadi

Technische Vorgabe: No Adobe („Kein Adobe“)

Jule Orlik und Tim Stange:
Adobe-Programme wie Photoshop, Illustrator und InDesign sind das klassische Handwerkszeug von Gestalter*innen. Lars Harmsens Vorgabe, darauf zu verzichten, war für uns eine Gelegenheit, Gewohnheiten zu durchbrechen und mal was anderes auszuprobieren.

Muriels Entwurf ist ein sehr reduzierter Ausschnitt einer Person mit verhülltem Gesicht, kämpferischem Blick und erhobenem Arm, insgesamt eine ikonische Darstellung von Protest und so stark, dass sie ganz ohne Text auskommt.

Die deckenden Farben in hartem Gelb-Rot-Kontrast steigern die Dramatik zusätzlich. Der Titel ist passenderweise wie ein Schlachtruf formuliert und spielt darauf an, dass das Poster unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen wie zum Beispiel in den USA in Bezug auf Abtreibung und die Antibabypille entstanden ist.

5. „Climate Protests“ von Franziska Filmer

Franziska Eileen Filmer

Technische Vorgabe: Only Type („nur Schrift“)

Jule Orlik und Tim Stange:
Die Diskussion über die Sinnhaftigkeit und die Verhältnismäßigkeit der Klimaproteste der Letzten Generation verlief zum großen Teil hart und unversöhnlich. Diese klaren Fronten nimmt Franziska mit dem maximalen Kontrast von Schwarz und Weiß auf.


Wiederum im Kontrast dazu trieft die sehr umgangssprachliche Formulierung und die Gestaltung der Schriftlinie als Klebstoffspur geradezu vor Ironie und Vieldeutigkeit. Wie es aussieht, wollte Franziska die Aussage bewusst offenhalten. Vielleicht als Gegenentwurf zu der knöchernen Entweder-Oder-Struktur der politischen Diskussion und als Erinnerung an die konstruktive Fruchtbarkeit des Zweifels.

6. „Tourism“ von Aysel Kopuz

Aysel Kopuz

Thematische Vorgabe: Tourism

Jule Orlik und Tim Stange:
Nach den reduzierten Gestaltungen zeigt Aysels Entwurf eine andere Herangehensweise: Die Komposition ist überladen und man braucht einen Moment, um sie zu entschlüsseln. Das Motiv selbst wirkt ebenfalls überladen mit den unzähligen Schildern und Zweigen, die von oben in die schmale Gasse hinab- und hineinhängen und sich gegenseitig verdecken.

Die zusätzlichen Linien des gespiegelten Wortes „tourism“ deuten eine komplexe räumliche Struktur an, die aber genauso unverständlich bleibt wie die Schriftzeichen auf den Schildern. Tourismus erscheint hier als leeres Versprechen, als kurzer, verständnisloser Einblick in eine Welt, die immer fremd bleiben wird.

7. „No Sight“ von Fabian Meyer

Thematische Vorgabe: Tourism

Jule Orlik und Tim Stange:
Manchmal braucht man etwas Abstand, um die Dinge klarer zu sehen. Mit seinem Plakat geht Fabian buchstäblich einen großen Schritt zurück, so weit, dass die ganze Erde aus weiter Ferne zu sehen ist. Der Planet bedeckt nur die innerste Mitte der Bildfläche, die ansonsten komplett leer bleibt, bis auf die kleine blaue Schrift am unteren Rand.

Der ganze Entwurf ist auf den Kerngedanken reduziert, der hier so intensiv hervortritt wie ein überraschendes Flüstern in absoluter Stille: Die Erde ist keine Sehenswürdigkeit.

8. „Good/Bad 2“, Gemeinschaftsarbeit mehrerer Studierender

Thematische Vorgabe: Gentrification

Jule Orlik und Tim Stange:
Eine der lautesten Arbeiten dieser Auswahl. Superhartes Schwarz-Gelb-Rot. Die verlaufenden Farben, die rücksichtslos aufgesetzte Schrift und die gewollten Brüche der Raster und Konturen sind Zitate aus dem urbanen Raum mit seinen Graffiti und überlagernden Wand-Markierungen.

Die einsilbige Frage „Bad?“, in der die Frage nach ihrem Gegenteil „Good?“ mitschwingt, mag als Infragestellung der üblichen Kriminalisierung von Malereien an fremden Hauswänden gemeint sein.

9. „No Regrets“ von Selva Duyuran

Thematische Vorgabe: Love and Peace

Jule Orlik und Tim Stange:
Selvas Entwurf lässt sich, so ähnlich wie David Reskes Poster, als ein klares Statement für die Hingabe an die Liebe lesen. Die Anordnung der Figuren ist ungewohnt, aber nicht willkürlich, wie die vom Arm der unteren Figur elegant gerahmte Komposition nahelegt.

Die Körper wirken wie klassische Statuen, die Schulter links oben wie der Flügel einer Renaissance-Putte, die Farben und die grobe Körnung dagegen zeitgemäß und experimentell. Dem weißen englischen Text stehen rotumrandete Schriftzeichen einer anderen Sprache gegenüber. Das alles unterstreicht die Ermutigung dem Herzen zu folgen – über alle Unterschiede hinweg.

10. „Police Operation“ von Salma Parra

Vorgabe: keine. „Everything goes“

Jule Orlik und Tim Stange:
Neben einem senkrechten blauen Balken auf weißem Hintergrund rinnt hellrotes Blut an der rechten Seite hinunter. Der nachrichtliche Kontext sind die Vorwürfe rassistischer Gewaltausübung gegen die Polizei in Frankreich. Mehr Worte sind nicht nötig. Harte, bildgewaltige Kritik an der Polizeigewalt in Frankreich.

Prof. Lars Harmsen bietet das Seminar „100 Poster Battle“ im Sommersemester 2024 wieder an.

Blick auf die 100-Poster-Battle-Wand in der Pinakothek der Moderne in München.

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