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Dortmunder Sozialblog

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Ute Fischer

Der Anreiz und der Esel

Veröffentlicht

Manchmal könnte man meinen, Politiker halten ihr Volk für eine Herde von Eseln. Dem Klischee nach handelt es sich dabei um Tiere, die nur mit einem Trick in Bewegung zu bringen sind: mit der berühmten Möhre, die ihnen vor die Nase gehalten wird. In diesem Bild steckt das Anreizdenken in Reinform.

Es begegnet uns in der Berichterstattung über politische Debatten sowie in der wirtschaftswissenschaftlich grundierten Arbeitsmarktforschung. Nur mit finanziellen Vorteilen und zur Not unter Androhung von Sanktionen, so die Annahme, setzt der allgemeine Langzeitarbeitslose seinen Fuß in Richtung Arbeitsmarkt. In der anderen Richtung ist sie auch zu finden: Nur mit hinreichend großem Gehaltsabstand zum Nichtstun bleibt der erwerbsfähige Mensch tätig. So formuliert es die These vom Lohnabstandsgebot. Oder, in der Sprache des Esels: IAH.

Bürgergeld tritt in die zweite Stufe

Gerade berichteten die Medien wieder davon. Das Bürgergeld tritt ein halbes Jahr nach seiner Einführung in die zweite Stufe. Nun soll die Integration in den Arbeitsmarkt stärker in den Vordergrund rücken. Zu diesem Zweck sollen Anreize geschaffen werden, damit die Arbeitslosen Bildungsangebote annehmen. Denn, so heißt es von Seiten der Arbeitsagentur, der Hauptgrund für das Verbleiben in der Arbeitslosigkeit sei fehlende Bildung und Ausbildung. Bisher sei es lohnender gewesen, kurzfristige Jobs anzunehmen als sich längerfristig zu qualifizieren.

Das klingt alles sehr weltfremd. Denn wenn man mit dem Regelsatz mehr schlecht als recht über die Runden kommt, ist es Ausdruck einer rationalen Entscheidung, Geld hinzuzuverdienen. Und eben kein Drückeberger-Verhalten, wie es die Rede vom Anreiz suggeriert. Und zudem: Funktioniert Lernen mit Anreiz? Wann ist ein Mensch bereit zu lernen? Wenn er es sich zutraut, wenn ihm Institutionen und Lehrende mit Respekt begegnen und vor allem: wenn er es sich leisten kann. Mit den Anreizen sind nun immerhin bezahlte Weiterbildungen gemeint. 150 € im Monat gibt es zum Regelsatz dazu. Bei erfolgreichem Abschluss eine Prämie von 1.500 €.

Anreiz oder Bedingung für Bildung?

Ist das ein Anreiz? Oder ist es schlicht eine notwendige Bedingung für das Ergreifen von Bildungschancen? Die Rede vom Anreiz ist das Problem: Sie macht die Menschen zum Esel, statt sie ernst zu nehmen. So lehrt es zumindest Herr Höweler, einer der Interviewpartner aus der Lehrforschung, die ich vor einigen Jahren zur Wirkung von Sanktionen beim Vorgänger des Bürgergeldes, dem Arbeitslosengeld II (ALG II), unternahm.

Seminar und Hilfskräfte interviewten mit mir Personen auf beiden Seiten des Schreibtisches in zwei Jobcentern der Region: Sachbearbeiter, Leiter und sanktionierte Empfänger des ALG II. Der gelernte Bürokaufmann Höweler hätte alles gegeben, um wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Die Fallrekonstruktion zeigt ihn als Leistungsethiker, als jemand, der ein hohes Pflichtgefühl zur Erwerbsarbeit empfindet. Doch die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter erlebt er als Schikane, gegen die er Schutzstrategien der Selbstbehauptung entwickelt. Sein Vermittlungshemmnis ist eine starke Bindung an die konkrete Arbeitsaufgabe, sein Gewissen und ein Verantwortungsgefühl seiner Familie gegenüber. Er will nicht irgendeinen Job und vor allem nicht Kunden „abzocken“ müssen. Gegen seinen Willen lässt er sich nicht verwalten, verkaufen kann er nur, wenn er vom Produkt und dem Kundenwunsch überzeugt ist. Wenn er Hilfe beim Umzug zugesagt und dem Jobcenter dies mitgeteilt hat, kommt er nicht zum angeordneten Beratungsgespräch.

Auch sein feines Gespür für Würdeverlust und Angriffe auf seine Autonomie lässt ihn Widerstand gegen Anordnungen der Behörde leisten. Eher nimmt er eine Sanktion in Kauf. Einen Anreiz braucht Höweler nicht, auch nicht die dritte Fortbildung, sondern eine Behörde, die ihn als Person anerkennt, und eine Arbeitsstelle, in der er sein vorhandenes Können unter Beweis stellen kann.

Dagegen würde er einen Anreiz als Beleidigung empfinden, schließlich ist er kein Esel.


Autorin des Blogbeitrages