Der jüngst eingeleitete harte Lockdown verschärft die ohnehin schon angespannte Situation auch für die Dortmunder Wirtschaft in der Corona-Pandemie. Die Lage analysiert im Interview mit unserer FH-Online-Redaktion Prof. Dr. Axel Faix, der an der Fachhochschule zu Unternehmensführung und Innovation lehrt und forscht.
Herr Prof. Dr. Faix, wie stark leidet die Dortmunder Wirtschaft unter der Corona-Pandemie?
„Die Effekte der Corona-Pandemie treffen die Unternehmen und Branchen mit unterschiedlichen ,Vorzeichen‘ und in unterschiedlichem Ausmaß. Allerdings bleibt vor einer näheren Beurteilung der Gesamtsituation noch abzuwarten, wie sich die aktuell geltenden Einschränkungen auf die Marktakteur*innen auswirken. Ein Lichtblick ist jedenfalls, dass in Dortmund bislang noch keine größere Insolvenzwelle zu verzeichnen war. Allerdings dürfte dies zu einem größeren Teil auf die zeitweilige Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zurückzuführen sein.
Grundsätzlich stark negativ von der Pandemie betroffen sind Hotels und Gaststätten, Unternehmen des Messebaus, der Reisevermittlung und durchführung, der Weiterbildung sowie das Unterhaltungs- bzw. Veranstaltungsgewerbe. Der innerstädtische Einzelhandel leidet gegenwärtig enorm unter dem weiteren umfassenden „Lockdown“. Dagegen boomt der Onlinehandel und wird nach aktuellen Schätzungen sein Volumen im Vorjahresvergleich mindestens verdoppeln.
Grundsätzlich positive Effekte der Pandemie erleben in hohem Maße die IT- und Kommunikationsbranche, denn digitale Lösungen werden in der Breite aller Sektoren stärker benötigt, beispielsweise durch forciertes Arbeiten im Homeoffice oder durch Ausbau des E-Commerce. Im Handwerk profitieren mit Blick auf das Gesamtjahr vor allem der Heizungs- und Lüftungsbau sowie die Elektroinstallation. Auch Dachdecker und Gartenbauer waren und sind gut gefragt.
Negative Effekte erleiden viele Dienstleistende im Bereich der Körperpflege, etwa Kosmetikstudios und Friseursalons.
Insgesamt ist erkennbar, dass vor allem Unternehmen, die digital gut aufgestellt sind, die Krise besser bewältigen. Außerdem haben Unternehmen Vorteile, wenn ihre Produkte krisenbedingt stärker nachgefragt werden, zum Beispiel im Gesundheitsbereich, oder ihre Leistungsangebote sich schnell und passgenau in neu geforderte Bedarfsrichtungen lenken lassen – Agilität zahlt sich unter den aktuellen Bedingungen besonders stark aus.“
Was können Unternehmen in den besonders negativ betroffenen Branchen tun?
„Zunächst muss sicherlich die Stabilisierung des eigenen Geschäfts im Mittelpunkt stehen. Dies kann – abgesehen von der Anpassung der betrieblichen Abläufe an Hygiene-Erfordernisse – die Sicherung von Kreditlinien oder die Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten der Gebietskörperschaften bedeuten. Zudem sollte die Situation aber auch Anlass sein, den strategischen Kurs und das Geschäftsmodell des Unternehmens kritisch zu analysieren. Die Leitfrage lautet: Welche Optionen bieten sich für ein – eventuell auch neues – Unternehmen, um mit bestehenden, veränderten oder neuen Produkten coronabedingte oder sonstige, bislang außerhalb der Reichweite des Unternehmens liegende Probleme zu lösen?
Mögliche Antworten hierauf können beispielsweise zu Angeboten führen, die Sicherheits-, Versorgungs- oder Kommunikations- und Marketingprobleme lösen. So fertigt der Dortmunder Kunststoffhersteller Murtfeld, der unter anderem Gleitschienen für industrielle Produktionsprozesse erzeugt, aus Kunststoff nunmehr auch diverse Schutzprodukte, um Übertragungsrisiken zu verringern. Hierzu gehören Schutzvisiere, Greif- und Drückhilfen zur Vermeidung unmittelbarer Hautkontakte etwa mit Türklinken, außerdem Schutzwände für Tresen, die sich zum Beispiel im Einzelhandel einsetzbar sind. Solche Diversifikationsvorhaben lassen sich oft recht zügig umsetzen.
Gleiches galt zuletzt für die verschiedenen Dortmunder Hotels, die ihre Zimmer –zumindest im beruflichen Kontext – zur Nutzung als Homeoffice anbieten konnten und die Verluste durch Ausfall von Reisen und Übernachtungen begrenzten.
Aufwändiger, aber auch strategisch nachhaltiger sind Maßnahmen, die die Situation nach der Pandemie adressieren. So kann das Ergänzen traditioneller Angebote eines Unternehmens durch digitale Produkte und das Einrichten oder Ausbauen eines Online-Vertriebs dem strukturell geänderten Verhalten von Kund*innen Rechnung tragen, die künftig sicherlich stärker über Omni-Channel-Konzepte angesprochen werden.
Für Anbietende von E-Commerce-Lösungen und elektronischen Bezahlsystemen, die sich gezielt an noch „traditionell“ agierende Unternehmen richten, sollte dies beachtliche Chancen bieten. In diesem Sinne haben auch die verschiedenen „touchless technologies“, die in vielen Arbeits- und Lebensbereichen Einzug halten, ein hohes strategisches Potenzial.
Die bei einer Neuausrichtung erforderlichen kreativen Prozesse in den Unternehmen profitieren von einer angemessenen strategischen Voraussicht der Beteiligten. Diese lässt sich durch geeignete organisatorische Vorkehrungen und Nutzung heuristischer Planungsmethoden unterstützen. Wir haben in der Fachgruppe Unternehmensführung ein Tool zur Suchfeldanalyse entwickelt, das einem Unternehmen hilft, systematisch neue – und nicht nur durch die Pandemie begünstigte – Produkt-Markt-Kombinationen aufzudecken und unter Rückgriff auf Methoden des ,Value Based Management‘ zu bewerten.
Für den langfristigen Erfolg neuer Angebote ist ihre konsequente Ausrichtung auf die überlegene Befriedigung von Kundenbedürfnissen entscheidend, die in der Regel nur auf Basis einer breit im Unternehmen verankerten Kundenorientierung entstehen kann.
Unsere von der Forschungsgruppe Innovationsexzellenz in Zusammenarbeit mit der IHK zu Dortmund seit dem Jahre 2014 für den IHK-InnoMonitor regelmäßig realisierten Erhebungen bei Dortmunder Unternehmen zeigen in der Längsschnittanalyse deutliche Unterschiede zwischen den Branchen. So weist zum Bespiel der Handel in Dortmund insgesamt eine relativ geringe Kundenorientierung auf: Bei der Entwicklung von Innovationen zur Neuausrichtung ihrer Sortimente greifen Händler*innen Anregungen ihrer Kund*innen deutlich schwächer auf und nutzen hierbei auch digitale Techniken wie etwa Social Media nur zögerlich. Einer systematischen Stärkung der Kundenorientierung darf sich kein Unternehmen jetzt verschließen.“
Welche Rolle sollten Kommunen und Wirtschaftsförderungen jetzt einnehmen?
„Die Kommunen sowie die Länder und der Bund haben bislang mit großer Kraftanstrengung diverse Rettungspakete geschnürt, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie aufzufangen. Der vorliegende Maßnahmen-Mix – beispielsweise erleichterter Zugang zu Kurzarbeitergeld, Erhalt von Sofort- oder Überbrückungshilfe – sollte vielen Unternehmen ermöglichen, den Boden unter den Füßen zu behalten und die ärgsten Folgen der Krise abzumildern.
Zudem muss der Blick der politischen Entscheider*innen mit kommunalem Bezug auf die Entwicklung neuer Erfolgspotenziale für die Dortmunder Wirtschaft gerichtet sein. Sowohl standort- als auch nachfrageorientierte Maßnahmen sollten alternative Szenarien und die differenzierten Anforderungen in den Branchen und Unternehmen berücksichtigen.
So ist die Wirtschaftsstruktur in Dortmund einerseits durch regional agierende Unternehmen mit starkem Dienstleistungsbezug gekennzeichnet, andererseits weisen viele Industrieunternehmen bei starker Spezialisierung oft eine hohe internationale Orientierung und komplexe Lieferketten auf.
Bei allen Unterschieden in den Einzelausrichtungen ist aber darauf zu achten, dass die Maßnahmen – Hilfen für Unternehmen in Problemsektoren, Verstärkung positiver Entwicklungen in zukunftsträchtigen Produkt- und Technologiefeldern – „aus einem Guss“ erarbeitet sind und möglichst günstige Hebelwirkungen ausgelöst werden.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt für eine strategische Förderung ist die (Weiter-)Entwicklung geeigneter ,Ecosystems‘, die als Verbünde von Unternehmen – zum Beispiel Anbietenden von „Kernprodukten“, Produzent*innen von Komplementärgütern, Zuliefernde – und weiteren Akteur*innen wie etwa Banken oder FinTechs zu verstehen sind, die in Netzwerken gemeinsame Wertschöpfung bestreiten.
Die Erfahrung zeigt, dass eine nachhaltige Förderung von Unternehmen ihre gesamte „Umgebung“ und die Beziehungen innerhalb des Ecosystems bewerten muss.
In Dortmund haben Stadt, Wirtschaftsförderung, beteiligte Kammern und Unternehmen auf Basis der Initiative „Neue Stärke“ früh mit der Entwicklung passgenauer Unterstützungsformate begonnen, die die Bedingungen vor Ort differenziert berücksichtigen, bedeutsamen Akteur*innen geeignete Rollen übertragen und bereits laufende Entwicklungsprozesse beachten. Dieser Weg sollte konsequent weiter beschritten werden.“