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Der etwas andere Schutzauftrag

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Der etwas andere Schutzauftrag

Es klingt paradox, aber ohne Feuer verkommt das beste Projekt schnell zum kalten Aschehaufen. Was ist damit gemeint? Ich habe mich oft gefragt, warum sich in der Sozialen Arbeit manchmal die besten und erfolgreichsten Projekte so schwer auf andere, von den Ausgangsbedingungen her sehr ähnliche Regionen transferieren lassen. Meine Antwort ist derweil: viel zu oft wird der Faktor Persönlichkeit des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin geradezu grotesk unterschätzt. Natürlich kommen auch andere politische und gesellschaftliche Kontexte dazu. Trotzdem liegt auch viel an den konkreten Personen in der Sozialen Arbeit. Wer sich mit Feuer und Leidenschaft in seinem Arbeitsbereich für seine Adressatengruppe einsetzt, braucht nur selten das neueste Methodenhandbuch – solche Personen brauchen vor allem konkrete Unterstützung und Schutz. Wem dieses Feuer fehlt, wird oft auch durch die innovativste Schulung und das neueste didaktische Konzept nicht die Qualität derjenigen erreichen, die mit Herzblut für ihre Sache einstehen.

Gute Praxis verbindet drei Dinge

Manche Dinge können im Studium nicht gelernt und vermittelt werden. Es macht einen Unterschied, ob jemand soziale Ungerechtigkeiten erkennen kann (das lässt sich im Studium lernen) oder ob sie einen ernsthaft so stören, dass man die Zustände verändern will. In den Vorlesungen für die Erstsemesterstudierenden spitze ich den Punkt oft auch übertrieben zu. Ich behaupte dann, Sie müssten sich entscheiden, ob sie das, was Bourdieu das „Elend der Welt“ nannte, zum Positiven verändern, verwalten oder analysieren wollen. Das stimmt so natürlich nicht: Richtig gute Praxis verbindet die drei Dinge. Sie analysiert das Elend, bekämpft die Ursachen, hilft den Betroffenen konkret und verwaltet seine Projektmittel sauber und ordentlich.

Die wenigsten Praktiker können das jedoch tatsächlich verbinden. Ich habe schon die größten und glaubhaftesten Kämpfer für soziale Gerechtigkeit mit offenen Schuhkartons voller Rechnungen und Belege im Auto umherfahren sehen. Andere reiben sich nächtelang auf und fühlen sich für alles verantwortlich – nur nicht für sich selbst. Sie brauchen dann Schutz, auch vor sich selbst und Unterstützung bei der Entwicklung professioneller Haltungen.

Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß

In seinem berühmten Text zur Politik als Beruf führt Max Weber auf die Frage, was einen guten Politiker ausmache, drei Dinge primär aus: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Oft denke ich, dass sich diese Punkte auch auf die Soziale Arbeit übertragen lassen. Auch sie braucht einen klaren Blick auf die realen Gegebenheiten und sollte sich nicht in abstrakten Ideologien verlieren. Sie übernimmt Verantwortung für ihre Versprechen und Angebote und setzt sich mit Leidenschaft dafür ein, Unterstützung zu bekommen.

Diese auch emotionalen Komponenten des Feuers, der Leidenschaft oder auch Kampfeslust, der ehrlichen Empörung über Ungerechtigkeiten, bei den Beteiligten, machen oft den Unterschied zwischen beeindruckender und wirkungsmächtiger Sozialer Arbeit und einer soliden oder gar schlechten Praxis aus. Sie sind auch ansteckend. Oft reißen diese Kolleginnen und Kollegen andere mit und ziehen sie in ihren Bann. Sie überfordern aber auch viele und sind enttäuscht, wenn andere sich nicht mitreißen lassen. Mancher erlebt auch Höhenflüge spontaner Zustimmung und verbrennt in den Höhen wie Ikarus auf seinem Flug gen Sonne. Veränderungen gelingen selten schnell und zügig. Max Weber formte das Bild vom politischen Prozess als das „Bohren dicker Bretter“. Er spielte damit einerseits auf die Zeitläufe an, meinte andererseits aber auch, dass es eben auch ein anstrengender und mühseliger Weg sei, Veränderungen zu erreichen. Dieser braucht viel Geduld und viel Kraft und beides ist endlich.

Leidenschaft lässt sich nicht antrainieren. Sie lässt sich vorleben und kann inspirieren; aber sie kann nicht mit Credit Points versehen und ordnungsgemäß geprüft werden. Man hat sie oder hat sie nicht. Wer sie nicht spürt, kann sie manchmal auch später noch bei sich entdecken. Die Herzblutkämpferinnen und -kämpfer sind eine dauerhaft gefährdete Spezies, ohne die Soziale Arbeit ihre Chancen nie ausreizen kann. Der Weg vom Idealismus zum Zynismus ist aber oft kurz. Statt Feuer gibt es dann kalte Asche und ein kräftiges Pusten, um sie in Raum und Zeit zu verbreiten. Die Vorkämpferinnen und -kämpfer brauchen daher unseren Schutz – auch vor sich selbst. Es ist geradezu ein Auftrag an alle, ihnen zur Seite zu stehen. Sie müssen daran erinnert werden, auch ihr eigenes Leben nicht zu vergessen. Sie dürfen nicht von Verwaltungsaufgaben erdrückt werden, brauchen Zeit und Raum, sich auch selbst zu öffnen und ihre Geschichten loszuwerden. Nichts geht ohne konkrete Unterstützungen und Mittel. Nicht immer können sie Gleichgesinnte neben sich gut ertragen und trotzdem hilft die Einbindung in Netzwerke des Vertrauens. Sie machen oft den Unterschied und sie lassen sich nicht immer finden, wenn eine Projektidee auf Wanderung geht. So erklärt es sich neben anderen Faktoren, warum gute Projekte nicht immer übertragbar sind, und scheitern, statt zu gedeihen.

 


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  • Fachhochschule Dortmund | Volker Wiciok