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Bürgergeld - Neues Paradigma oder mehr vom Alten?

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Hartz IV – oder amtlich: Arbeitslosengeld II – heißt seit Januar 2023 „Bürgergeld“. Ein zähes Ringen war es zwischen den Ampelkoalitionären und später zwischen Regierung und Opposition. Nun wird es ausgezahlt und es ist etwas stiller geworden um die neue Form der Grundsicherung. Doch wie neu ist sie und wie ist sie einzuordnen? Ein Blogbeitrag von Ute Fischer.

Bürgergeld klingt zunächst wie eine gute Idee. Es klingt wie Geld für Bürger (sicher auch für Bürgerinnen). Es klingt fast nach Grundeinkommen, nach monatlicher Zahlung für alle ohne Bedingungen. Es hört sich nach Fortschritt an im Vergleich zum heftig kritisierten Hartz IV, das Arbeitslose zu Bittstellern machte durch die oft unwürdige Behandlung im Jobcenter oder durch Auflagen, die häufig recht sinnlos erschienen, etwa wenn der dritte Excel-Kurs die Bereitschaft zur Weiterbildung dokumentieren sollte.

Das Bürgergeld war bereits im Wahlkampf vor der Bundestagswahl 2021 von der SPD als deutliche Verbesserung angekündigt worden. Für mehr Respekt und Anerkennung von Lebensleistungen, wurde Hubertus Heil, der damalige und heutige Bundesminister für Arbeit und Soziales nicht müde zu betonen. Im Wahlprogramm der SPD hieß es dazu: „Ein unkompliziertes Bürgergeld, das konsequent auf Hilfe und Ermutigung statt auf Sanktionen setzt und den Kauf einer neuen Waschmaschine oder Winterjacke nicht zur untragbaren Last werden lässt. In den ersten zwei Jahren soll weder Vermögen noch Wohnungsgröße überprüft werden. Und wer sich weiterbildet, bekommt einen zusätzlichen Bonus.“

Und so in etwa stand es schließlich im Gesetzesentwurf der Ampel-Regierung: Das Bürgergeld war geplant als um 53 € höherer Betrag als Hartz IV und liegt beim einzelnen Empfangenden dann bei 502 € je Monat. Die frühere Eingliederungsvereinbarung, die nicht auf Augenhöhe war, sondern letztlich von der Behörde durchgesetzt werden konnte, hieß dem Gesetzentwurf nach nun Kooperationsplan. Eine ganzheitliche Betreuung wurde nun zum Coaching umbenannt. Und während einer „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten sollten vorhandene Vermögen nicht angerechnet werden, das heißt, wer gespart hatte, wird dafür nicht bestraft. Auch die stark umstrittenen Sanktionen sollten währenddessen ausgesetzt werden. Eine weitere Karenzzeit von zwei Jahren ließe auch die Wohnungen unangetastet, und ein Bürgergeld-Empfänger müsste nicht in eine kleinere Wohnung ziehen.

Doch Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Von linker wie von konservativer Seite wurden schon im Vorfeld der Bundestagswahl, verstärkt aber mit Aushandlung des Gesetzesentwurfs des Kabinetts Gegenargumente laut. Von Politiker*innen der Linken und Bündnisgrünen, aber auch von Sozialverbänden wurde auf mehrere Punkte hingewiesen: eine zu geringe Erhöhung des Bürgergeldsatzes, vor allem angesichts der inflationären Preissteigerungen für den alltäglichen Bedarf sowie ein Festhalten am – wenn auch abgeschwächten – Sanktionsgedanken, und schließlich das unangetastete Erwerbsgebot als Nachweis eines anerkennenswerten Lebens und Grundlage für staatliche Leistungen.

Von konservativer Seite wurden im Bürgergeld „falsche Anreize“ gesehen. Es wurde befürchtet, dass sich Erwerbsarbeit zu wenig lohne, weil der Lohnabstand zwischen Mindestlohn und Bürgergeld zu gering sei. Ungeachtet anderer Berechnungen z.B. im Portal Sozialpolitik. Auch das Schonvermögen von 60.000 Euro, das unangetastet bleiben sollte, sei zu hoch. In der Anreizdiskussion ist es schwer, sachlich zu bleiben. Das Menschenbild des Esels, der einer vorgehaltenen Möhre hinterhertrottet, muss man nicht teilen. Es liegt aber der Debatte um die richtigen Anreize zugrunde, als sei Erwerbsarbeit etwas, zu dem Menschen nur extrinsisch zu motivieren seien. Und auch die Erwerbszentrierung des Sozialgesetzes ist einer Diskussion würdig. Entspricht sie wirklich dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben?

Im Bundesrat setzte sich das Misstrauen durch als Generalverdacht gegenüber Erwerbslosen. Die CDU-geführten und von ihnen mitregierten Bundesländer haben gegen den Entwurf gestimmt und damit das Gesetzgebungsverfahren blockiert. Der Vermittlungsausschuss musste sich der Sache annehmen. Solche Vorgänge sind nicht gerade vertrauensbildend für die Betroffenen: Vertrauen ist keine Einbahnstraße. Wem nicht getraut wird, der misstraut ebenfalls, zumal es für eine wachsende Zahl von Bürger*innen um die nackte Existenz geht.

Schließlich ist zu fragen, was mit Begriffen geschieht, wenn sie verwendet werden. Das „Bürgergeld“ als Reformidee findet sich schon in den in den 1980er Jahren, als in der FDP über eine negative Einkommenssteuer als Vereinfachung der Bürokratie von Sozialtransfers nachgedacht wurde (Mitschke 1985) oder auch im Vorschlag eines „Solidarischen Bürgergeldes“ des ehemaligen Ministerpräsidenten von Thüringen, dem CDU-Politiker Althaus (2007), das in Richtung eines – allerdings in der Höhe geringen – Grundeinkommens ging. Für weiterführende Debatten, zum Beispiel um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, ist der Begriff nun verbrannt.

Geführt werden sollte die Debatte aber, denn auch das Bürgergeld in der beschlossenen Fassung hat seine Mängel. Im gefundenen Kompromiss ist der Sanktionsgedanke wieder verstärkt enthalten und damit die Stigmatisierung beibehalten worden. Bedingungslosigkeit ist als alternative Auffassung von Gerechtigkeit offenbar schwierig zu denken und noch schwieriger ist es, dafür eine Mehrheit zu finden. Abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand, entspricht die Höhe des Bürgergeldes – trotz der Steigerung – nur minimal dem Bedarf zur Existenzsicherung und soziokulturellen Teilhabe, wie es das Grundgesetz vorsieht. Dementsprechend wird die Grundsicherung in der Diskussion bleiben, wie ein erneuter Vorstoß der Grünen-Chefin Ricarda Lang für eine inflationsangemessene Berechnung und entsprechende Erhöhung der Regelsätze kürzlich zeigt.

Literatur

Althaus, Dieter (2007): Das Solidarische Bürgergeld – Sicherheit und Freiheit ermöglichen Marktwirtschaft. In: Borchard, Michael (Hrsg.): Das solidarische Bürgergeld – Analysen einer Reformidee. Stuttgart, S. 1-12

Mitschke, Joachim (1985): Steuer- und Transferordnung aus einem Guß. Baden-Baden


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