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Auf der Suche nach einer Haltung zum Krieg

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Hochschulen als Ort des Austausches und der Suche nach Antworten

Das Lied vom Pazifismus

Deutschland liefert jetzt im Verbund mit seinen westlichen Partnern Kriegspanzer an die Ukraine.

Einen Tag vorher hörte ich ein altes Lied und war komisch berührt. Darin hieß es: „Wenn unsere Brüder kommen, mit Bomben und Gewehren – dann wollen wir sie umarmen, dann wollen wir uns nicht wehren.“ In dem Lied geht es um eine grundsätzlich pazifistische Haltung und die Idee der sozialen Verteidigung bei Besatzungen und in Kriegen. Gemeint ist damit in Kurzform, auf Angriffe nicht mit Waffengewalt, sondern mit Verweigerung, Sabotage und Aufrechterhaltung der eigenen Werte zu antworten und so die Angreifer zu vertreiben. Wem das völlig absurd erscheint, sei an das 100jährige Jubiläum der Ruhrbesetzung in diesem Jahr erinnert. Trotzdem verstehe ich natürlich, dass die Menschen in der Ukraine eine solche Idee zynisch finden werden, und mir würde es an ihrer Stelle nicht anders gehen.

Auf der Suche nach einer Haltung

Aber es berührt einen wunden Punkt – nämlich die eigene Haltung zum Krieg. Mit achtzehn Jahren war ich mir an der Stelle sicher. Den Wehrdienst habe ich voller Überzeugung verweigert und meinte es überaus ernst: Die Bundeswehr gehörte aufgelöst, Waffen vernichtet und der Mensch könnte dem Menschen ein bester Freund werden. Diese Haltung habe ich heute nicht mehr, treffe auf sie aber bei einigen unserer Studierenden. Ich halte sie für falsch und naiv und empfinde darin doch auch einen warmen Kern der Menschlichkeit und der Humanität, der mir bis heute gefällt. Meine israelische Freundin konfrontierte mich als junger Mann mit vielen Fragen: Hätten sich ihre Großeltern, die größtenteils den Holocaust nicht überlebten, mit Waffengewalt wehren dürfen? Gäbe es ihren Staat ohne Verteidigung noch? Waren die alliierten Truppen, die gegen Nazideutschland kämpften, auf der richtigen oder falschen Seite der Geschichte? Mein Pazifismus zerrann in den Debatten wie Sand zwischen meinen Fingern und diverse Nazis halfen mir später ungewollt, mein Menschenbild auszudifferenzieren.

Utopie und Realismus

Dennoch habe ich bis heute Respekt für die pazifistische Idee und deren Vertreter*innen. Es ist eine Utopie der Menschlichkeit, die jedoch an der Felsküste der realen Politik und der Menschheit immer wieder zerschellt. Nicht alles, was die Utopist*innen sagen, halte ich deshalb für falsch: Waffen in Kriegsgebieten werden eingesetzt, töten Menschen, sorgen für neues Leid und führen zu neuer Radikalisierung und Verzweiflung. Es ist ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt, um zu einem warmen oder kalten Frieden zu kommen. Deshalb bin ich bis heute skeptisch gegenüber allen, die nach immer neuen Waffen rufen und denen jede Lieferung immer zu wenig ist. Gleichzeitig wird sich das Putimregime nicht mit auf den Weg gestreuten Rosen aufhalten lassen. Welche Wege können somit noch aus dem Krieg führen?

Option: Die Ukraine gewinnt

Es spricht nichts dafür, dass Putin aus sich selbst heraus seinen Kurs korrigiert und die Waffen und Truppen abzieht. Dies zu glauben, wäre so naiv wie ein hilfloser Pazifismus. Wie können somit Wege aus dem Krieg aussehen? Mehrere Szenarien sind denkbar:

Die Ukraine hofft auf einen militärischen Sieg. Mit Hilfe westlicher Waffensysteme würden dann die russischen Truppen zurück auf russisches Staatsgebiet gedrängt. Entsprechend enthusiastisch wurden erste Geländegewinne gefeiert. Sie gaben Hoffnung auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld. Besondere Bedeutung könnte dabei der Krim zukommen, meinte in diesem Semester einer der besten Kenner Osteuropas, Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Gespräch mit unseren Studierenden. Er sah in der Krim eine „rote Linie“ für Putin und befürchtete den Einsatz atomarer Waffen im Falle der Rückeroberung der Krim durch ukrainisches Militär. Spätestens dann hätten wir es mit einer apokalyptischen Eskalation zu tun, die bisher keine Seite wünscht. Die Geschichte des Ersten Weltkriegs zeigt jedoch, dass dieser Wille der Herrschenden allein noch nicht reichen muss, um ein solches Szenario zu verhindern. Manchmal führt auch Unvermögen in die Katastrophe.

Option: Putin gewinnt

Das Gegenstück dazu wäre ein militärischer Sieg der russischen Truppen. Putin scheint darauf zu hoffen und schielt möglicherweise dabei nach Amerika. Unterstützt auch der nächste Präsident der USA die Waffenlieferungen an die Ukraine? Ohne die USA wären die europäischen Staaten wohl kaum in der Lage, der Ukraine im nötigen Umfang beizustehen. Putin hätte dann den längeren Atem gehabt und könnte so sein Kriegsziel doch noch erreichen. Die Ukraine wäre wieder vollkommen russischer Macht unterworfen und vermutlich zum Vasallenstaat mutiert, dessen Bevölkerung fliehen müsste, um dem Diktat des Siegers zu entkommen.

Option: Abnutzungskrieg

Beide Seiten hoffen bisher noch auf eines der beiden Szenarien und entsprechend gering ist die Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen. Dadurch ergibt sich das dritte Szenario: das Kriegsgeschehen dreht sich einfach weiter, die Zerstörung und das Töten schreiten voran und beide Seiten sorgen für den nötigen Nachschub auf den Schlachtfeldern. Auch daran kann aber eigentlich keine Seite ein ernsthaftes Interesse haben, und das könnte eine ganz kleine Chance sein. Auch Russland ist eingebunden in internationale Wirtschafts- und Sicherheitssysteme. Hier bräuchte es jetzt diplomatisches Geschick und das Denken in größeren Linien. Gibt es eine Chance, gewichtige dritte Staaten dafür zu gewinnen, ihre Einflüsse auf Russland zu nutzen, um einen möglichen Frieden in der Ukraine zu erreichen? Dazu gehören China, Indien, Brasilien und Südafrika. Würden diese Staaten ihren Einfluss auf Russland nutzen, indem ihnen z. B. vom Westen Zugeständnisse in Interessenskonflikten mit dem Westen und Angebote in Form von Wirtschaftskooperationen oder Sicherheitspartnerschaften unterbreitet würden, könnte Bewegung in den Konflikt kommen. Ich habe dafür keinen Masterplan mit konkreten Ideen in der Tasche. Aber Russland kann sich nicht vollkommen isolieren, und das könnte zum Lichtblick werden.

Kein einfacher Ausblick

Und das wäre dann auch der Moment, an dem der Ausgangspunkt des Textes wieder wichtig würde. Militärisch ist der Konflikt in meinen Augen nicht zu gewinnen – das gilt für beide Seiten. Wirklichen Frieden schaffen am Ende dann doch keine Waffen, sondern Worte, Gespräche und Aushandlungen. Darin geht es um Interessen und Einflusszonen und nicht um Moral und Rechthaberei. Zur Erinnerung: In Potsdam und Jalta saß Stalin mit am Tisch – jetzt könnte es Putin werden, trotz alledem. Solche Gespräche sind keine Wohlfühlrunden unter Freunden, sondern extrem schwer, unangenehm und widerlich. Trotzdem sind sie unumgänglich, um Frieden zu schaffen. Wir Menschen sind halt auch so schwierig und nicht nur, wie wir sein könnten und uns das manchmal in alten Liedern wünschen.


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  • Fachhochschule Dortmund | Roland Baege